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Wählst du noch oder interessiert es dich auch

by Carsten Kreilaus. Average Reading Time: about 5 minutes.

Es ist Wahlkampfzeit und eins vorweg: Es gibt keine Alternative zur Wahl, nicht zu wählen ist keine Lösung. Wir leben in einer Demokratie und dazu gehören unterschiedliche Meinungen und Kompromisse, wie das tägliche Brot. Das ist Teil des demokratischen Spiels, die 100 Prozentige Übereinstimmung ein Zufallsprodukt. Die Realität und unsere gesellschaftlichen Probleme sind komplex und so auch die Lösungen. Mir geht es um das Interesse an der Politik, unsere Partizipation und den Stimmenfang der Parteien über Wahlwerbung sowie deren Finanzierung.

Nichts ist umsonst und irgend jemand muss immer die Rechnung zahlen. Die CDU spendiert sich dieses Jahr ein Wahlkampfbudget in Höhe von 20 Mio. Euro, die SPD legt mit 23 Mio. Euro eine Schüppe drauf. Beide Parteien geben damit so viel aus, wie die anderen nicht zusammen zur Verfügung haben. Die Parteien finanzieren sich zum größten Teil über die staatliche Teilfinanzierung sowie über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Die staatliche Teilfinanzierung bedeutet, dass der Staat für die ersten 4 Mio. Stimmen 85 Cent pro Stimme in die Parteikasse zahlt, für jede weitere 70 Cent. Anspruch auf diese Finanzierung haben die Parteien, die bei der letzen Europa- und Bundestagswahl mindestens ein halbes Prozent oder bei der letzten Landtagswahl mindestens ein Prozent der gültigen Zweitstimmen für sich verbuchen konnten. Auch die Spendeneintreibungen und Beiträge werden vom Staat belohnt und pro Euro hier ein gedeckelter Cent-Betrag oben drauf gelegt. Soweit die offiziell gemeldeten Zahlen. Im Verborgenen bleibt das zusätzliche Budget auf Landes- und Kreisebene, was über Direktzahlungen der Kandidaten das offizielle Budget aufstockt. Übersetzt heißt dies: die Wahlkampfwerbung wird über Steuermittel finanziert. Wir zahlen unseren eigenen Stimmenfang. Das ist nicht per se verwerflich und unser Sozialstaat verpflichtet zur Teilhabe. Ausserdem wird die Unabhängigkeit der Parteien gewährleistet. In diesem Punkt bin ich mir nicht schlüssig, ob die Politiker nicht nur die Marionetten der Wirtschaft und damit gesteuert sind. Wir sollten die Tatsache der Selbstfinanzierung nicht vergessen und müssen die Wahlwerbung kritisch hinterfragen. Ist diese notwendig oder kann das Geld nicht sinnvoller und besser eingesetzt werden? Es ist unser Geld, da scheint mir zumindest die Mitsprache angebracht.

Wie sieht die Wahlwerbung der Parteien aus? Plakate dekorieren unsere Straßen. Wir sehen diese an Orten, wo die kommunalen Behörden jedem Unternehmen sofort den Riegel vorschieben würde. Im Fernsehen unterhalten uns dokumentarische und emotional ergreifende Spots der Parteien. In den Fußgängerzonen treffen wir auf freundliche Wahlkämpfer, die ein bischen unserer Zeit mit ihrer guten Laune, Luftballons, Kugelschreiber und Kondomen für ihre Mund-zu-Mund-Propaganda erhaschen wollen. Wir sehen unsere Politiker an allerlei Orten, die in den 4 Jahren davor nicht auf der Agenda standen. Politik(er) zum Anfassen. Dem Volk wird der Dialog angeboten und ein Einblick in die, sonst verschlossene, Privatsphäre gewährt. Alles ein Spiel auf Zeit. Nach der Wahl geht der Vorhang wieder zu, bis zur nächsten Wahl. Und Werbung…, ja, die ist immer Geschmackssache.
Wählst du noch oder interessiert es dich auchBei der Wahlwerbung sind wir uns ausnahmslos einig. Sie ist nichtssagend, langweilig und austauschbar. Politische Weichspülung. Apropos: wenn 2 Parteien dieselbe gekaufte Filmsequenz verwendet, spricht das Bände über die Uniformität der Politik. Was denken sich die dahinterstehenden Macher, denken sie überhaupt? Überall lächelnde Gesichter, gepaart mit luftleeren Sätzen, die relevant klingen sollen. Uns wird ein Sympathieträger demonstriert, der ausspricht, was uns vermeintlich bewegt, was wir alle denken. Mensch, wie wahr, den müssen wir wählen! Diese Haltung der Politik spricht Bände. Die Politiker halten und verkaufen uns für dumm. Wo sind die aneckenden, charismatischen Politiker geblieben? Politiker, die das Herz auf der Zunge tragen, die Unpopuläres aussprechen und anpacken. Die das von ihren Beratern an die Wand geworfene, mehrheitsfähige Stimmungsbild in der Bevölkerung ihren Überzeugungen opfern. Die für die Sache brennen. Mit Authentizität hat das Heute wenig gemein. Daher hat die Werbung zunehmend ein Glaubwürdigkeitsproblem, die Wahlwerbung schon lange. Sie ist zum Einheitsbrei verquirlt, ohne Unterscheidungskraft. Damit ist sie ein Spiegel der Zeit, der Zeit von Standards, Massenprodukten, Verklausulierungen und aufgeschobenen Entscheidungen. Es fehlt das Momentum, die Differenzierung, vor allem aber das Kommunizierte auch zu leben, gegen Wiederstände gerade zustehen. Die Wahlwerbung ist Werbung und leidet unter dessen Image. Ihr fehlt die offene Kommunikation. Den Wahlkampf-Slogans glaubt keiner. Den lächelnden Plakatportraits, die mir besser für jede Zahnpasta-Werbung geeignet scheint, vertraut keiner. Und was umso schlimmer wiegt, ist unser offensichtliches Desinteresse an der Politik. Niemand scheint sich mehr für deren Inhalte zu interessieren. Nicht einmal die Politiker selbst. Wie auch? Eine Legislaturperiode lang gab es keinen Dialog, es ging nur um das Regieren und Regieren lassen. Die Programme der Parteien sind für die Allgemeinheit viel zu weit weg, genau wie deren Vertreter und ihre Parteien.Wir wählen, was uns an Werbung vorgekaut wird, was uns am sympathischsten scheint. Wir wählen eine Politik der Oberflächlichkeit, die sich mit populistischen Sätzen gut verkauft. Politiker sind geborene Rethoriker, aber wie die Hollywood Kulissen am Ende eine Fassade. Willkommen in der Entpolitisierung. Bei unserem Kreuz sollten wir uns bewusst sein, in wessen Auftrag die Politiker gewählt werden. Demokratie bedeutet Herrschaft des Volkes. Wichtig für die Gestaltung unserer Zukunft ist die Partizipation. Der Dialog und unsere Interessenvertretung darf kein temporäres Zeitphänomen sein. Sie muss der politisch gelebte Alltag sein.

Was also sollen wir wählen? Das muss jeder selbst wissen. Wichtig ist die bewusste Wahl, nicht ein Gesicht, sondern der Inhalt ist entscheidend. Dieser sollte mit unseren Wünschen übereinstimmen. Die Politiker müssen aus ihrer Lethargie wach gerüttelt werden. Sie müssen begreifen, dass das Ziel der Wiederwahl nicht ihr Job ist. Der Auftrag lautet die Gestaltung unsere zukünftigen Verhältnisse anzupacken. Wir – das Volk – sind bei diesem Weckruf gefragt. Aristoteles hat folgendes Zitat geprägt: „Zur Freiheit gehört es, abwechselnd zu regieren und regiert zu werden.“ Die Internet-Zeit ist reif für einen Umbau, hin zu einer direkteren Demokratie. Ein mehr an Bürgerbeteiligung führt zu weniger Politikverdrossenheit, fördert die Identifikation mit den politischen Entscheidungen und bringt mündige Bürger hervor. Der Staat ist für den Rahmen, die Bürger für das Malen des Bildes zuständig. Dieser Wandel muss angegangen, die dafür notwendige Infrastruktur geschaffen werden. Lasst uns mehr Demokratie wählen und vor allem wieder die Gestaltung unseres Lebensumfeldes mitbestimmen! Und wer damit immer noch nicht weiß, was er wählen soll, dem hilft der Wahl-O-Mat. Auf eine mitbestimmende Wahl!

One comment on ‘Wählst du noch oder interessiert es dich auch’

  1. Carsten sagt:

    Konkordanzdemokratie statt Konkurrenzdemokratie

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