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Marketing ist keine Selbstbefriedigung

by Carsten Kreilaus. Average Reading Time: about 4 minutes.

Die derzeitigen Schlagzeilen über den Status Quo der Werbung werfen kein besonders gutes Licht auf die Werbezunft und -zukunft: „Die Werbung nervt. Online-Werbung wird nicht geklickt. Affiliates schaden der Marke. Mobile Werbung gibt es de facto nicht. Offline ist zu teuer und kann nicht ordentlich getrackt werden. Tracking ist nicht wertschöpfend. Social Media ist ein Hype, der nicht verkauft. Print ist tot. Im Media-Einkauf geht es nur noch um die höchsten Rabatte.“…

Kein Wunder. Wir denken im Marketingalltag in Media-Kanälen. Wir müssen eine Facebook-Kampagne machen. TV bringt uns Reichweite. Online die Intensivierung. Die Zeit und die gesellschaftliche Ich-Enwicklung hat den Menschen aus der Werbegleichung ausgeklammert. Dabei könnte die Werbung besser funktionieren, als je zuvor. Es steht ein Riesentopf an Daten bereit, wo früher alleine der Bauch herhalten musste. Die relevanten Daten sind vorhanden und damit die Innensicht möglich. Die Kundenhistorie ist bekannt, die Kundenreise, seine Einstellungen, wir kennen im Web die Abbruchstellen und der Kunde selbst ist Aufgeklärter denn je. Dieses Puzzle müssen wir zu einem Bild zusammensetzen. Aber Vorsicht: Die Zahlen, Daten und Fakten für sich alleine genommen sind Wahrscheinlichkeiten und bestenfalls ein Indikator. Die Mischung macht´s. Im Mittelpunkt der Werbung steht der Mensch, der muss verstanden werden. “You never really understand a person until you consider things from his point of view… Until you climb inside of his skin and walk around in it.” ― Harper Lee, To Kill a Mockingbird. Da spielen Erfahrungswerte und Intuition eine Rolle, keine Algorithmen. Dieser Herausforderung muss sich das Marketing wieder stellen. Wir müssen den Menschen im Kunden anschauen, die gesellschaftlichen Trends einbeziehen. Die Klienten über einen Kamm zu scheren funktioniert nicht mehr. Der Otto-Normalverbraucher ist lange tot. Zwar findet ein blindes Huhn ein Korn, aber wem nützt die Werbung wenn sie den Kunden nicht erreicht. Es gibt mehr als eine Sichtweise. Das gilt gerade für die eindimensionale Denke des Controlling. Mehr Werbung für weniger Geld einzukaufen, ist effizienter. Richtig. Allerdings nützt die höchste Ersparnis nichts, wenn die Effektivität ausgeklammert wird. Die Rechnung geht nicht auf und das Budget sollte sich das Unternehmen sparen. Was zählt ist die Qualität und die leidet unter der einseitigen Spardoktrin. Leider will der Vorstand und die Geschäftsführung eine Schein-Sicherheit in Form von Daten berichtet bekommen, egal wie sinnfrei diese Zahlen sind. Fakt ist, trotz Big Data lässt sich der Kunde nicht vorherberechnen. Diesen Nachteil der Spezialisierung können wir durch ein Zusammenspiel ohne Eitelkeiten ausgleichen. Das Marketing gehört in die Geschäftsführung und ist nicht dem Controlling oder dem Einkauf unterzuordnen. Marketing ist Unternehmensgestaltung. Die Zielgruppen-Analyse ist und bleibt eines der schwierigsten Herausforderungen im Marketing. Eine Rückbesinnung auf den Menschen ist unabdingbar.A&F, Marketing ist keine Selbstbefriedigung

Die Gestaltung ist dabei Geschmacksache. Klar, es gibt Regeln für die einzelnen Medien. Es gibt die Farblehre. Das Corporate Design des Unternehmens spielt eine Rolle, vor allem aber deren individuelle Marken-DNA. Der Vorstandsgeschmack spielt definitiv keine Rolle bei der Entwicklung der Kreation. Die Werbung sollte weder den Geschmack der Entscheider, noch dem Award-Winning-Suchenden-Werber befriedigen. Die Relevanz beim Kunden ist die einzig gültige Währung. Kommt die Werbung beim Kunden an und wirkt, dann ist der eigene Geschmack egal. Aus dem Markenkern heraus entsteht die kreative Idee, um die gewünschte Botschaft zu vermitteln. Dazu muss das Unternehmen seinen Kern kennen und entwickeln. Es reicht nicht aus schlau klingende Sprüche aufzuschreiben oder eine Werbeagentur zu beauftragen, die ihrerseits gelernte und zur Marke vermeintlich passende Phrasen – schlimmstenfalls aus der Schublade – als deren USP verkauft. Die reine Innensicht führt zu einem Wunschergebnis, nicht zur Realität. Diese Selbstbefriedigung ist ein kurzes Vergnügen. Wichtig ist ein Zusammenspiel zwischen Unternehmer, Unternehmen, Spezialisten und dem Kunden. Die Selbstbefriedigung wird damit zu einer ernsthaften Beziehung. Ein Beziehung bedeutet Verständnis, Vertrauen, Kooperation, Wertschätzung und vor allem Arbeit. In die Beziehung muss investiert werden. Im Anschluss können sich Werber ausmalen, wie das Problem der Kunden gelöst werden kann. Kommt der Verkauf an erster Stelle, ist die Aufdringlichkeit bereits mit gebucht. Die Werbung empfinden viele als nervig. Apropos nervig. Es nützt nichts sich hinter neuem Werbeslang zu verstecken und den Werbetreibenden möglichst hochtrabende Begriffe um die Ohren zu hauen. Meist handelt es sich um neumodische Interpretationen von bereits bekanntem Wissen. Bevor die Goldidee geboren werden kann, ist Zuhören angebracht: Dem Unternehmer, den Mitarbeitern, dem Markt und den Kunden. Marken sind Gespräche. Die Partizipation der Kunden ist die Kür für die gemeinsame Markenführung. Dafür benötigt es Zeit. Kreation ist keine Wochenendschicht, weil Freitags Nachmittags der Marketingleiter seinen Schreibtisch leer bekommen und Montag Morgens um 8 Uhr dem Vorstand mit der neuesten Idee gefallen will. Zeit ist Geld, ergo Kreation kostet. Und da sind wir wieder beim Controlling. Quid pro quo oder treffend dazu: „If you pay peanuts, you will get monkeys.“ Qualität hat immer noch seinen Preis. Der Werbezunft von heute fehlt die kollektive Empathie. Oder wie es in der w&v zu einer Agenturneugründung zu lesen war: „Bei uns arbeiten in Relevanzen denkende Empathen.“ Gute Zusammenfassung, hoffentlich das wirkliche Selbstverständnis der Agentur und nicht leeres Gewäsch. Marketing ist eben keine Selbstbefriedigung, egal auf welcher Seite man steht!
Echte Markenliebe erfordert eine Beziehung.

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