Schiedsgerichte bedrohen die Natur
by Carsten Kreilaus. Average Reading Time: about a minute.
Laut einer gerade durchgeführten Umfrage von Emnid – im Auftrag von N24 – hält drei Viertel der deutschen Bevölkerung die Parteien für realitätsfremd. Einer der Gründe sind die beiden Handelsabkommen TTIP (Transatlantik Trade and Investment Partnership) mit den USA und CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) mit Kanada. Die möglichen Freihandelsabkommen der EU soll die Wirtschaft weiter ankurbeln, so das politische Versprechen. TTIP würde den größten Binnenmarkt der Welt erschaffen. Wohlstand für viele bedeuten. Zahlreiche Arbeitsplätze schaffen. Das hört sich ziemlich gut und wird daher als Argumentation seitens der Befürworter herangezogen.
Die Verhandlungen werden hinter verschlossenen Türen abgehalten und als „transparenteste Gespräche über ein Handelsabkommen“ bezeichnet. Warum bleibt die Demokratie dann vor der Tür? Die Leseräume sind bewacht, kein Handy, kein Fotoapparat ist erlaubt und kein Wort darf nach außen dringen. Trotz Widerstand der Bürger und notfalls offensichtlich gegen deren Willen, hält die Politik an den Abkommen fest. Allen voran der Vizekanzler Sigmar Gabriel, der bei öffentlichen Äußerungen die privaten Schiedsgerichte (ISDS = Investor-state dispute settlement) für Investoren kritisiert. Die geleakten und veröffentlichten Dokumente beweisen das Gegenteil. Herr Gabriel wirbt für den Erhalt. Die Ehrlichkeit der Politik hatte noch nie ein gutes Image, aber was die im Mai durchgesickerten Dokumente zeigen, ist der Grund für die streng geheimen Verhandlungen. Der Verbraucher- und Umweltschutz der EU soll ausgehebelt und das in Europa geltende Vorsorgeprinzip abgeschafft werden. Das Vorsorgeprinzip erlaubt nur Produkte, die für Mensch und Umwelt unschädlich sind. Eigentlich sollte dies eine Selbstverständlichkeit sein. Beim Thema Geldverdienen allerdings hört die Liebe für den Verbraucher und den Umweltschutz auf. Ein Unternehmen muss schließlich Geld verdienen. Auch das Fracking, gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere sollen dank der Handelsabkommen Einzug in Europa halten. Alles kontrovers diskutierte Themen, die zum Wohle aller besser hinter verschlossenen Türen verhandelt gehören. Natürlich.
Die privaten Schiedsgerichte sind für Unternehmen gedacht, die bei Änderungen der Gesetzeslage im Ausland – zum Beispiel im Bereich des Natur- und Arbeitsschutzes – unerwartet schlechter gestellt werden. Die Investitionen sollen geschützt werden und daher wird den Unternehmen die Möglichkeit eingeräumt gegen die Regierung auf verlorene Investitionen und auf entgangene Profite zu klagen. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Konzerne bekommen ein Recht eingeräumt, nationale Gesetze zu ihren Gunsten auszuhebeln und Investitionen abzusichern. Ich dachte immer eine Investition oder auch Kapitalanlage wäre die Verwendung finanzieller Mittel, um damit Privatvermögen durch Erträge zu vermehren. So steht es in Wikipedia. Und da ist kein Risiko dabei? Super, wenn ich mir einen Investitionsfallschirm einbauen kann und meine Investition und entgangene Einnahmen – die natürlich enorm sind – von den Bürgern der Länder, äh, Staaten in denen ich investiere, verbürgen lassen kann. Ein verfassungs- und gleichermaßen völkerrechtswidriger Investitionsschutz“, laut dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter Siegfried Broß. Die privaten Schiedsgerichte hebeln die nationale Justiz und die Souveränität des jeweiligen Landes aus. Berufungen sind nicht vorgesehen. Wer hat sich diese privaten Schiedsgerichte eigentlich ausgedacht? Politiker zum Schutz der heimischen Wirtschaft sicher, vermutlich nicht. Erinnert mich eher an einen wirtschaftlichen Absolutismus oder Diktatur.
Die Befürworter bestreiten die genannten Einbußen und weisen diese als Fiktion aus. Das ist mehr als interessant. TTIP und CETA gibt es – Gott sei Dank – noch nicht und deren mögliche Auswirkungen sind tatsächlich fiktiv. Allerdings sind das nicht die einzigen Freihandelsabkommen mit privaten Schiedsgerichten. Weltweit existieren Tausende solcher Abkommen, immer eingeführt für mehr Wachstum, weniger Zölle und gleiche Standards bei Produkten. Es gibt zahlreiche Klagen global agierender Konzerne, die Staaten reihenweise verklagen, weil sie ihre Profite – meist zu Lasten der Umwelt – abschöpfen wollen. Besonders viele Länder im Süden werden von Klagen aus dem Norden überzogen. Bei dem privaten Schiedsgericht ICSID – angesiedelt bei der Weltbank – sind 573 Verfahren anhängig. Und das ist nur eines von vielen privaten Schiedsgerichten. Verfahren bei denen es um astronomisch hohe Schadensersatzforderungen geht. Ein paar Beispiele zur Veranschaulichung. El Salvador wird von dem australischen Konzern Oceana Gold auf 301 Millionen US-Dollar verklagt. Die kanadische Firma Infinito Gold verklagt Costa Rica auf 94 Millionen Dollar Schadensersatz, weil diese den Goldabbau im Regenwald untersagte. In Kolumbien versuchen zwei Bergbaufirmen (Cosigo Resources und Tobie Mining and Energy) aus den USA und Kanada vor einem privaten Schiedsgericht in Texas zu ihrem Recht zu kommen. Die Schadensersatzforderung beläuft sich auf 14,5 Milliarden Euro. Und wofür? Nach eignen Jahren Rechtsstreit hat das kolumbianische Verfassungsgericht die Klage der Unternehmen abgelehnt, die Rechtmäßigkeit des Nationalparks anerkannt (darum ging es) und die Einstellung sämtlicher Bergbauaktivitäten in diesem gefordert. Zum Pech für Kolumbien bestehen mit Kanada und den USA Freihandelsabkommen und die beiden Konzerne verklagen Kolumbien daher mit folgender Begründung: Die Gründung eines Nationalparks sei eine unrechtmäßige Enteignung und Betrug. Die geforderte Summe ist der von den Unternehmen taxierte Wert des dortigen Goldvorkommens, welcher Ihnen durch die Lappen geht. Für Kolumbien heißt das zahlen oder den Abbau genehmigen. Absurd. Nicht immer (aber oft) sind es Bergbau- und Ölkonzerne die versuchen mit Hilfe von privaten Schiedsgerichten ihre rein profitgesteuerten Interessen durchzusetzen. Und es gibt auch europäische Unternehmen, die mitspielen.
Das war ein Ausblick, was durch TTIP und CETA in Europa auf uns zukommen kann. Was in Kolumbien durch die Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada passiert ist, kann auch in Europa geschehen. Am Ende zahlt die Zeche der Bürger. Wir. Du. #StopTTIP für die Demokratie.
Foto: tokamuwi / pixelio
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