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Angestellt oder Selbständig?

by Carsten Kreilaus. Average Reading Time: about 6 minutes.

Was kommt danach?

Ein Erfahrungsbericht über (m)einen Weg in die Selbstständigkeit, voller Hoffnungen und auch Sorgen

Was ist eure Antwort auf die folgende Frage: Lebt ihr, um zu arbeiten oder arbeitet ihr, um zu Leben? Meine Antwort ist simpel. Aber vorher möchte ich etwas ausholen und meine Geschichte, die Gedanken vom Angestellten zum Selbständigen erzählen.

Nach dem Studium der Betriebswirtschaft, eigentlich bereits währenddessen, war mir klar, dass ich in die Werbung möchte. Ich fand die Welt der Kommunikation in den Neunzigern spannend und die Kreativität anziehend. Also habe ich mich im Studium auf das Marketing konzentriert. In meinem letzten Studienjahr hat mir eine bereits fertige Kommilitonin von ihren Bewerbungs-Erfahrungen bei den großen Werbeagenturen berichtet. Im Vordergrund der Erzählung stand die schlechte Bezahlung. Das Thema Geld hat mich beschäftigt und nach meinem Abschluss als Diplom Kaufmann habe ich mich bei den großen Industrieunternehmen beworben. Eine Entscheidung des Geldes wegen. Die geführten Gespräche haben mich gelangweilt und das ist wohl auch häufiger rübergekommen. Kurzum, das war nichts für mich. Eine einzige Bewerbung hatte ich an eine Werbeagentur in München gerichtet und eine Einladung erhalten. Aufgrund der bisher gelaufenen Gespräche bin ich hingegangen und was soll ich sagen, es war grandios. Ich habe mich mehr als wohlgefühlt und nach dem Gespräch, unabhängig vom Geld, entschieden, zuzusagen, wenn ich genommen werde. Und, ich wurde genommen. Eine fantastische Zeit, mit tollem Team, Kollegen und interessanten Arbeiten hat begonnen. Natürlich gab es dann und wann zu jammern, die Bezahlung war nicht vergleichbar mit den meiner Ex-Kommilitonen, die in die Industrie gegangen sind. Aber, ich hatte Spaß und Freude an der Arbeit. Es hat mich erfüllt. Die nächsten Jahre waren wild. Wir haben viel zusammen gemacht, auch nach dem Feierabend.

Irgendwann kam der Hunger nach mehr. Ich wollte weiter und so habe ich die Agenturwelt verlassen und bin auf die Kundenseite gewechselt. Das hatte seinen Reiz. Bessere Bezahlung, plus weniger Arbeit aus Sicht eines Agentur-Dienstleistung-Sprösslings. Nach Aufbau einzelner Marketing-Abteilungen und Leitungspositionen bei einem Fashion-Unternehmen in Unterfranken, wollte ich wieder in die Großstadt München. Das Angebot eines großen Internet-Unternehmens war das Sprungbrett mit einer wirklichen reizvollen Aufgabe, eine Marke aus einem digital erfolgreichen Unternehmen zu formen. Mit den Jahren kamen immer wieder und immer öfter ein paar Gedanken hoch. Reicht es mir, für eine Marke die immer gleichen Marketing-Maßnahmen von Jahr zu Jahr zu verbessern? Oder vermisse ich die Markenvielfalt, unterschiedliche Kunden, unterschiedliche Zielgruppen, Produkte und Märkte? Diese Gedanken haben sich mit dem Thema Selbständigkeit und zunehmend auch mit der Sinnfrage gepaart. Letztere liegt wohl am fortschreitenden Alter, den gemachten Erfahrungen und der Geburt meines Sohnes. Mit Sinnfrage meine ich: Welchen Sinn erfüllt meine Arbeit und möchte ich das für mich und mein Kind? Außerdem war mir die Wirtschaft zu einseitig hinter dem Geld her. Werte und Mensch, als zu berücksichtigende Variabel, haben mir zunehmend gefehlt. Trotzdem liebe ich das Marketing weiterhin, mache das super gerne und am liebsten mit Sinn. So weit, so gut.

Irgendwann ist der Entschluss zur Selbständigkeit gefallen. Trotz aller Unwägbarkeiten. Entweder jetzt ausprobieren oder nie. Der Reiz war die Freiheit, das Risiko das Geld. Das Ziel Selbstbestimmtheit und Seelenruhe. Kleine Seitenanekdote. Bei all den Artikeln zum Weg in die Selbständigkeit vermisse ich das Thema Geld. Es wird viel erzählt zum Weg, zur Person, über die gewonnene Freiheit, kaum bis gar nicht über die Abhängigkeiten, die es trotzdem gibt. Wir leben in einem System, wo wir Geld verdienen müssen. Die Frage ist auf welchem Weg wir das bewerkstelligen? Trotzdem, das Thema Geld kann lähmend sein. Gerade zum Start in die Selbständigkeit sind die Einnahmen nicht unbedingt regelmäßig, damit muss man umgehen können oder es lernen. Gerade für erfolgsverwöhnte Leute ist das ein Punkt, den jeder für sich selbst klären muss. Was ist euer Ziel, geht es euch um das Geld oder um die Inhalte eurer Arbeit? Alte Muster lassen sich nicht leicht über Bord werfen. Meine ganz eigene Erfahrung ist, macht euch nicht vom Geld abhängig. Der Weg ist ein Kompromiss. Manchmal müsst ihr Dinge tun, die einfach Geld bringen. Je nach eigener Erwartungshaltung ist das Leben zu finanzieren. Grundsätzlich solltet ihr immer euer eigenes Ziel im Auge behalten, euch durch nichts und niemanden davon abhalten lassen. Auch nicht durch euch selbst. Findet heraus, was eure eigenen, unvervechselbaren Bedürfnisse sind. Nutzt die Zeit, lebt euer Leben.

Zurück zur Ausgangsfrage. Weder die eine, noch die andere Antwort entspricht meinem jetzigen Lebensmotto. Für mich sind es zwei extreme Enden, auf die ich mich nicht einzeln festlegen möchte. Vielmehr ist es die Mitte, die Zufriedenheit, die meinen Weg am besten beschreibt. Ich lebe und arbeite sehr gerne. Es gibt eben mehr als nur schwarz oder weiß, dazwischen liegen viele Schattierungen und eine bunte Vielfalt. Die Dichotomie des Lebens ist zwar richtig, aber greift für mich zu kurz. Wichtig ist die Zulassung und Akzeptanz der Vielfalt. Das ist mitunter ganz schön schwierig, vor allem gedanklich damit umzugehen. Es gibt nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen im Leben. Die Kehrseite und mehr gehören dazu. Es gibt keinen Standardweg. Und ganz ehrlich, was soll passieren. Im schlimmsten Falle lasst ihr euch wieder anstellen. Das soziale Netz in Deutschland ist so gut, dass ihr euch nicht allzu große Sorgen machen solltet. Ihr müßt allerdings mit dem Unverständnis eures Umfeldes rechnen. Eine vermeintlich sichere – die es nicht mehr gibt – Position aufzugeben, um euren „Traum“ zu verwirklichen, wird nicht immer verstanden. Das geht los mit Karrierebegründungen, über das Thema Geld, bis hin zum Risiko. Die Motivation für den eingeschlagenen Weg interessiert kaum. Großer Respekt für den mutigen Schritt wird einem meistens gezollt. Dabei ist der Schritt nicht mutig, sondern eine Konsequenz aus der eigenen Lebensentwicklung heraus. Jeder Weg ist individuell. Jagt nicht einer falschen Leidenschaft hinterher.

Mein Fazit. Nach zwei Jahren lerne ich jeden Tag aufs Neue. Für mich ist der Schritt der Richtige und ich gehe diesen weiter. Ich kann heute nicht sagen, was noch kommt und welche Weggabelung ich in Zukunft erkunde. Vielleicht lasse ich mich irgendwann wieder anstellen. Das schließe ich nicht aus. Ich freue mich auf den weiteren Weg. Ich bleibe offen und entdecke jeden Tag mehr und mehr meine ureigenen Bedürfnisse. Ohnehin gibt es für mich nicht den einen Weg und ankommen tun wir nie, es sei denn wir sind am Ende des Lebens. Ihr lebt – vermutlich – nur einmal. Google, respektive Alphabet, ist zwar an der Lebensverlängerung dran, wird aber noch etwas dauern. Es geht immer weiter und darauf sollten wir uns trotz gefühlter Tiefen freuen. Die Zeit wird uns in diese Richtung drängen. Die typische Büroarbeit von heute befindet sich im Umbruch. In Zukunft arbeiten wir anders und selbstbestimmter. Die nachfolgenden Generationen sind selbstbewußter. Sie fordern ihre Freiheit ein. Arbeitgeber müssen darauf mit einem Wandel reagieren. Vielleicht ist mein Erfahrungsbericht ein Generationen-Ding. Auch die Selbständigkeit ist nicht jammerfrei. Das ist überhaupt nicht schlimm, wenn dies für euch befreiend ist. Ich finde es schlimmer, wenn alle nur noch vom Spaß bei der Arbeit reden und das als alleinige Wahrheit indoktrinieren. Wir müssen auch nicht für alles brennen und alles geil finden. Was ist dein Ding? Das ist die Schlüsselfrage. Es gibt sie nicht, die eine Wahrheit. Es wird immer Abhängigkeiten geben. Mein Rat an dieser Stelle: Probiert´s aus! Entweder funktioniert es für euch oder nicht. Findet euren Weg. Und ja, da muss ich ins gleiche, zeitgemäße Horn stoßen: Ihr müßt mit eurem Weg zufrieden sein. Die Selbsterkenntnis der eigenen Wertschätzung ist das Wichtigste, der Weg dahin das Ziel.

Was habt ihr für Erfahrungen gemacht? Gerne euren Bericht in den Kommentaren.

3 comments on ‘Angestellt oder Selbständig?’

  1. Thomas sagt:

    Hi, schöner Artikel, der im Grunde meine derzeitige Situaition ganz gut beschreibt. Leider habe ich aufgrund meiner sehr spezialisierten Tätigkeit noch mehr ein Problem damit, was der Inhalt meiner Selbständigkeit sein kann, wenn das was ich heute tue nicht die Basis dafür sein kann. Dann ist die Organisation – Inhalt, Reputation, Kundenstamm – des Übergangs aus meiner Sicht sehr schwer, weil die Unwägbarkeiten und Risiken immens werden. Dennoch möchte ich raus aus dem Hamsterrad. Ich bin auch Ökonom. Da sollte sich doch was draus machen lassen :)

  2. Robert sagt:

    Lieber Carsten,
    das ist ein herrlich offenherziger Bericht über deine Gedanken und Wege. Ich kann mich aus eigener Erfahrung nur anschließen. Man sollte sich nie zu früh aufgeben und in seinem Hamsterrad versauern.
    Ich Punkto (softer) Selbstständigkeit kann ich auch nur dazu raten, mal nebenbei etwas zu versuchen. Startet euer Businiss nebenbei. Ein paar Stunden in der Woche, regelmäßig ein paar gute Gespräche, das kann schon viel bewirken. Entweder um seine Entscheidung sich selbstständig zu machen zu untermauern oder auch wieder Abstand davon zu nehmen.
    Das Risiko ist wirklich überschaubar. Gerade wenn man als Dienstleister arbeitet und eigentlich nicht mehr braucht als einen Computer, Internet und einen funktionierenden Kopf.

    Rock on!

  3. Karsten sagt:

    Sehr geil, Kreili. Ich hab die selbständig oft verflucht aber nie bereut. Ich würde mich freuen, wenn es in den Schulen ein Fach für „Unternehmertum“ geben würden. Da könnte schon die Kinder lernen quer zu denken, mutig zu sein und Dinge auszuprobieren.

    Großen Respekt auch vor denen, die sich mit 40+ selbständig machen. ich war Mitte 20 und hatte ja nichts zu verliern ;)

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