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Das Leben ist kein Wettbewerb

by Carsten Kreilaus. Average Reading Time: about 3 minutes.

Ich habe neuerdings das Fahrradfahren für mich entdeckt. Es ist herrlich morgens auf den Drahtesel zu steigen, um bei Sonnenschein gemütlich in die Arbeit zu radeln. Ich bin ein Schönwetter-Fahrradfahrer. An Regentagen fahre ich lieber Öffentlich. Manchmal Vespa. Selten Auto. Im Winter? Das muss ich noch heraus finden. Vermutlich macht der öffentliche Nahverkehr das Rennen. Um dem Fahrrad ganzjährig treu zu bleiben, sollte ich in Erwägung ziehen die Klimazone zu wechseln. So weit zu meinem entdeckten Faible fürs Fahrradfahren. Was daran so besonderes ist, ist der Wohlfühlfaktor etwas getan zu haben. Ich kann mich Morgens gedanklich auf den Tag und anstehende Projekte vorbereiten. Hilfreich ist dabei, dass mich mein Weg zum größten Teil durch die Natur führt. Die Augen offen für Natur, Tier und Mensch, gewinne ich viele schöne Eindrücke. Entspannung. Zufriedenheit. Das sind die Nebeneffekte des Wohlfühlfaktors. Der Weg ist bekanntlich das Ziel und diesen kann ich in aller Ruhe geniessen. Zack… flitzt ein Biker im Affenzahn an mir vorbei. Viel sehe ich nicht mehr, nur den Rücken und ein entschwindenes, klitschnasses T-Shirt. In meinem Büro gibt es keine Dusche. Hoffentlich hat er diese Möglichkeit, ansonsten möchte ich nicht unbedingt der Büronachbar sein. Aber gut, jedem das Seine. Er fasst den Arbeitsweg sportlich auf. Zurück zu meinem Weg. In einer Unterführung wird es eng, ohne Ausweichmöglichkeit wegen herrschendem Gegenverkehr. Zwei sich entgegenkommende Radler passen an dem Engpass gut durch. Ab und an auch ein Dritter, wie ich öfters feststellen muss. Da ist nichts mehr mit Platz, das gibt einen Adrenalinschub und spart die erste Tasse Kaffee. Mit mancher Textilie konnte ich auf Tuchfühlung gehen, hautnah die Atemlosigkeit miterleben. Ein mulmiges Gefühl. Weiter geht es mit meiner Gemütlichkeit. Und schwups… wieder ein Überholmanöver. Herrjemine. Dieses Mal ein Vater mit seinem Sohn im Kindersitz. Was mir an Eindruck bleibt, ist das sich entfernende Stöhnen und Ächzen des Vaters sowie ein Sohn, der seine Umwelt als verschwitzten Rücken und Rucksack des Vaters wahrnimmt. Was eine Aussicht. Ich hatte übersehen: Das ist kein Fahrradweg, dies ist knallharter Radsport und ich mitten auf der alltäglichen Rennstrecke! Giro d´Lavoro. Hier herrscht purer Wettbewerb. Jeder überholte Fahrradfahrer ist ein gewonnener Platz in Richtung Siegertreppchen. Im Büro außer Atem angekommen, kann der Sieg triumphierend gefeiert werden. Gewonnen. Alle hinter mir gelassen. Der Schnellste. Beste. Ja, das bin Ich. Der Tag kann beginnen. Mich schafft heut keiner, ich dafür alles und jeden! Diesen Startschuss hatte ich einfach überhört. Einen Triumph habe ich zu vermelden: Auch ich habe überholt. Gut, Sie war an die 70 Jahre… aber wirklich sehr, sehr rüstig. Ehrlich.

Abends das Gleiche. Ich freue mich nach getaner Arbeit auf die Rückfahrt, denke nicht an die Sportveranstaltung heute Morgen. Für mich bedeutet die Heimfahrt abschalten. Gut. Das Abschalten ist nicht meine Stärke, dies aber eine andere Geschichte. Ich stelle mich auf eine entspannte Tour durch die Natur ein. Wieder habe ich den Startschuss überhört. Für meine Rennkonkurrenz beginnt die Wettfahrt nach Hause. Auf die Plätze fertig, los. Ich habe es mit anderen Verkehrsmitteln versucht. Der Umstieg ins Auto nützt nichts. Im Gegenteil, das ist schlimmer. Verbotene Überholmanöver. Hupkonzerte. Drängler. Ungeduld. Aggression von wild gestikulierenden Spurhoppern. Auch als Fahrgast des öffentlichen Nahverkehrs ist  der Arbeitsweg ein Wettbewerb mit zahlreichen, imaginären Konkurrenten. Beim Einfahren unser S-Bahn machen sich die ersten Teilnehmer an den Türen bereit. Auf dem anderen Gleis steht die S-Bahn schon länger. Die logische Schlussfolgerung, die andere Bahn fährt zuerst. Schnell die Arbeitstasche geschnappt und im Sprint in die gegenüberstehende S-Bahn hinein gehechtet. Den Rest der Fahrgäste lässt der geschickte Arbeitswegsportler hinter sich. Die Tür geht  zu. Gut so. Sie fährt gleich los. Geschafft. Fast eingeklemmt in der Tür, aber noch reingekommen. Diese Trottel vom Nachbargleis. Eine gute Minute spart diese Aktion bei der Ankunft. Entscheidend. Das Leben ist eine Rennstrecke, so die augenscheinliche Devise. Ich frage mich die ganze Zeit: Hat heute niemand mehr Zeit?

Hallloooooooo! Das Leben ist KEIN Wettbewerb.

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