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Immer Ärger mit den vielen Wahrheiten

by Carsten Kreilaus. Average Reading Time: about 2 minutes.

Auf der Skipiste beobachtete ich zwei sich gegenüber stehende Männer, die sich offensichtlich stritten. Ein schmächtiger Vater mit seiner Tochter an der Hand sowie einen schreienden Hühnen mit hochrotem Kopf. Der Auslöser für den Streit war eine vorausgegangene Beleidigung des Vaters. Er nannte den Hühnen einen Depp, weil dieser als nachfahrender Skifahrer den Liftbügel nicht korrekt losgelassen und damit die Tochter – fast – in Gefahr gebracht hat. Seine Wahrnehmung. Der Schreihals hatte offenbar eine große Portion Testosteron gefrühstückt und eine andere Sichtweise. Sein Gesicht war höchstens eine Nasenlänge zum selbstbestimmten Gegner entfernt, trotzdem wirkte der Vater keinesfalls eingeschüchtert. Nur seine daneben stehende 5-Jährige Tochter wusste mit der Situation nicht ganz umzugehen. Während der Depp immer wieder betonend schrie „Du nennst mich nicht noch einmal Depp, sonst…“, erwiderte der Vater irgendetwas für mich nicht verständliches. Mutig, mutig. Die Tochter in der einen Hand und einen Wüterich vor der Nase. Niemand wird gerne Depp genannt und klar, der Unmut lässt sich anders kommunizieren. Auch in der Konfrontation ist Höflichkeit und Respekt eine Tugend. Der Ton macht die Musik. Jede Handlung hat einen Auslöser. Sich ein Urteil zu bilden ist schwierig, da wir nicht immer die ganze Wahrheit kennen. Den Testosteron-Mann pauschal für seine Aggressivität abzustempeln ist leicht. Gewalt ist und bleibt die schlechteste aller Lösungen. Auch der Vater hatte sicher Gründe für sein Verhalten. Vielleicht war es der beschützende Vater-Instinkt, vielleicht ist er mit seiner Arbeit unzufrieden und unglücklich oder er hat einfach nur zu wenig geschlafen? Der Depp wurde zu einem willkommenen Ventil um sich Luft zu machen.

Der Ärger ist eine sinnlose Verschwendung unserer Lebenszeit. Unnötig wie ein Kropf. Wir sollten uns jedes Mal nach der Motivation der Auseinandersetzung fragen. Den Zweikampf für sich zu gewinnen, ist sicher eine Motivation. Ob das sinnstiftend ist, ist Ansichtssache. Das Leben ist kein Wettbewerb. Der Klügere gibt nach, heißt es. Wenn wir uns durch Übermut als den Klügeren bezeichnen, maßen wir uns einiges an. Unser Urteil stochert oft im Trüben. Alles ist eine Frage der Perspektive. Wer hat am Ende des Tages wirklich Recht? Die landläufige Meinung, unser sozialisiertes Allgemeinverständnis oder der Stärkere? Auch die mediale Kategorisierung in gut oder böse, richtig oder falsch, der ist so, das ist so sowie die entsprechende Schubladen-Berichterstattung, ist bequem. Jeder glaubt die alleinige Wahrheit für sich gepachtet zu haben und zwingt anderen die eigene Definition auf. Der Helikopterblick wird ausgeblendet. Mensch zu sein bedeutet mehr als das Darwin’sche Gesetz des Stärkeren. Viele Menschen nehmen den Begriff zu wörtlich und handeln mit Gewalt. Die Evolution kennt keine ideologisch aufgeladenen Wahrheiten. Auf unsere Situation übertragen: der Stärkere zeigt Verständnis, akzeptiert und respektiert die Tatsache, dass jeder das Anrecht auf seine eigene Wahrheit hat!
Ohne Chaos keine Ordnung

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