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Shitstorm – die moderne Hexenjagd

by Carsten Kreilaus. Average Reading Time: about 3 minutes.

Die Geschichte wiederholt sich. Was früher die Hexenjagd war, ist heute der Shitstorm. Geändert hat sich nichts, nur die Kommunikationsmittel. Die potenziellen Hexen sind die Unternehmen, die Jäger die Verbraucher. Der Ablauf ist der gleiche wie bereits vor Jahrhunderten. Es ist egal, ob das Unternehmen eine Schuld trägt oder unschuldig ist. Ein Jäger fühlt sich ungerecht behandelt und verlangt Gerechtigkeit. Oder möchte jemanden loswerden. Die einfachste Form der Genugtuung ist es, sein Gegenüber an den Pranger zu stellen und des Hexentums zu beschuldigen. Die Unternehmen stehen eh unter Generalverdacht. Das ist es ein Leichtes, Verbündete zu finden. Immer mehr springen auf den Zug auf, bekunden ihre Solidarität mit dem Opfer. Die Welt ist ungerecht. Die Unternehmen erst recht, das wissen wir doch alle. Sie sind alle nur auf den eigenen Profit aus. Die Schuld steht im Raum. In dubio pro reo kennt die Bezichtigung nicht. Fakten interessieren die Shitstormer nicht, genauso wenig wie das Volk wissen wollte, ob die Hexe wirklich eine ist. Der Mob tobt. Es will die Hexe brennen sehen! Die Unternehmen sollen ebenso brennen. Gott sei Dank nur noch symbolisch, aber Einbußen sollen sie erleiden. Die so gewonnene Macht wird ausgekostet und genossen. Glücklich ist, wer mitmacht. Der Alltag ist doch so öde. Der Meute dürstet es nach Blut, das wird verbalisiert. Da reicht es nicht, seine Meinung zu äußern. Nein, es muss gepöbelt werden. Kraftausdrücke vom Feinsten sind an der Tagesordnung und gehören zum gepflegten Kommunikations-Repertoire der selbsterklärten Hexenjäger. So werden seit eh und je Aufmerksamkeiten geweckt. Schliesslich sollen die anderen zuhören. Das bringt die Massen zum Kochen. Selbst wenn diese keinerlei Groll gegen die Hexe hegen, werden die eigenen Emotionen in Brand gesteckt. Wir sind das Volk. Jetzt gibt es die Quittung für Eure jahrelange kommunikative Unterdrückung. Jetzt haben wir die Möglichkeit gehört zu werden und mit einem lauten Knall die Aufmerksamkeit zu bekommen. Der 5 Minuten Ruhm, den Andy Warhol richtigerweise als Wunsch aller äusserte, ist die Motivation. Vorhang auf, Bühne frei, hier komme ich in der tragischen Rolle des unterjochten Verbrauchers. Hört mir zu, dies ist eine Hexe. Sie ist böse, hat mich verzaubert. Ja, ich habe mit ihr geschlafen, aber doch nicht freiwillig. Ich konnte nichts dazu. Verzaubert hat mich die Hexe. Lasst sie brennen! Das ist keine Solidarität. Gerechtigkeit spielt schon lange keine Rolle mehr.

So werden die guten Kommunikationsmöglichkeiten von heute missbraucht. Kunden haben die Möglichkeit, mit den Unternehmen direkt zu reden, ihre Meinungen zu äußern. Sie werden gehört und Unternehmen können dadurch lernen. Bekommen kostenlos, wofür sie früher Marktforschungen beschäftigt haben. Was wünscht sich mein Kunden von mir? Wie sieht er mich? Was mache ich falsch, was kann ich besser machen und wo muss ich noch lernen. Das ist für beide Seiten toll. Eine Win-Win Situation. Voraussetzung dafür ist, dass beide Seiten es ernst meinen und sich mit Respekt begegnen. Der Nutzer bekommt so immer mehr das, was er wirklich möchte und kann sich Gehör verschaffen. Aber… der Ton macht die Musik. Wie im Alltag sollte dieser respektvoll und höflich sein. Ist schliesslich kein Kindergeburtstag, sondern eine Kommunikation zwischen Erwachsenen, sollte man meinen. Leider kommt bei der twittergetränkten Kommunikation die Sachlage zu kurz. Es wird be- und verurteilt, ohne die wahren Hintergründe zu kennen. Eine sachliche oder konstruktive Kritik geht anscheinend nicht mehr. Leute, wo bleibt der Spaß? Das Leben ist schön und zu kurz, um sich mit Hässlichkeiten abzugeben. Reine Zeitverschwendung. Eine echte Schande für uns Menschen. Gemeinsam sollte die Devise sein. Miteinander statt Gegeneinander. Echt schade, für diesen kurzen Moment unser Geschichte. Es bleibt die Hoffnung, die stirbt bekanntlich zu letzt. Und die Geschichte lehrt uns eins: die Hexenjagd gibt es nicht mehr und auch die Shitstorms ziehen vorbei.
Am Ende ist alles gut und wenn noch nicht alles gut ist, dann ist auch noch nicht Ende!

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