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Die Semcorisierung der Politik – Politik ohne Politiker

by Carsten Kreilaus. Average Reading Time: about 5 minutes.

Politik ohne Politiker
Aus aktuellem Anlass – Europawahl, so mancher Staatsmann, England, AKK und Co., krame ich aus den Archiven erneut einen Artikel über meine Gedanken zur Politik mit Zukunft hervor. Eine Politik, die keine Politik im Sinne von Gegeneinander und Egoismus mehr braucht, sondern die sich wieder auf ihren gemeinschaftlichen Ursprung besinnt: Miteinander, Füreinander.

In den Medien wird das Thema Politikverdrossenheit oft thematisiert und tatsächlich scheinen sich die Regierten von den Regierenden immer weiter zu entfernen. Nehmen wir beispielsweise die Wahlbeteiligung im Verlauf der Geschichte als Indiz. In den Siebzigern wurden zum Teil Werte von über 90 Prozent erreicht. Heutzutage liegen die Werte eher im Siebziger-Bereich, wobei 2017 ein Zuwachs zu verzeichnen war. Was ist der Grund für die mangelnde Identifikation der Menschen mit der Politik. Oder, haben wir einfach keine Ahnung mehr, wozu Politik überhaupt gut ist. Vielleicht sind die Politiker aber auch nur noch Marionetten andere Mächte. Egal welcher Grund, die von uns gewählten Vertreter müssen unsere Interessen vertreten und dazu ist es essentiell, dass wir Ihre Stimmungsbarometer sind, vor allem aber unsere Mitbestimmung ist zwingend notwendig. Wir wollen doch unsere Interessen bestmöglich und demokratisch gewahrt wissen. Nicht zur Urne gehen setzt kein Zeichen, sondern entfernt uns weiter von der Politik. Wir, die Gesellschaft, sind verantwortlich und dürfen uns nur beschweren, wenn wir das Zepter in die Hand nehmen. Was dies für die zukunftsfähige Politik 2.0 bedeutet, ist das komplette Umdrehen der bestehenden Machtverhältnisse. Die Vertreter müssen endgültig zu unseren Vertretern werden. Herrschaftliche Entscheidungen Einzelner und im Interesse Einzelner sind nicht zeitgemäß. Daher bin ich für eine Semcorisierung der Politik.

Ricardo Semler hat sein Unternehmen – die Semco S/A – schrittweise dezentral und radikal demokratisch aufgestellt, lange vor diesem Prinzip des Internets. Weg von einer hierarchischen, pyramidenhaften Organisation hin zur Bestimmung und Verwaltung durch die Angestellten selbst. Die Angestellten werden dort nicht als reine Arbeitskraft angesehen, die zu machen haben, was wenige Entscheider oder Manager sich ausdenken. Ihnen wird das Vertrauen geschenkt, die Firmengeschicke selbst zu managen, was letztlich zum Management ohne Manager führt. Ihm ist das Wohlergehen der Mitarbeiter wichtiger, als deren ständige Kontrolle und alles rein aus der Sicht des maximalen Profits zu sehen. Der Erfolg stellt sich für ihn – und sein Erfolg gibt ihm Recht – durch zufriedenere Mitarbeiter mehr oder weniger von alleine ein. Diese Mitarbeiter leisten sehr gute Arbeit, weil sie das Gefühl haben, etwas bewirken zu können, dass ihre Mühen lohnen und sie Teil von etwas Besonderem und Wichtigem sind. Insofern kann man nicht mehr von Angestellten oder Mitarbeiter sprechen, sondern Mitunternehmern. Die Mit- und Selbstbestimmung, radikale Demokratisierung, Respekt, Transparenz, Verantwortung, Integrität und Vertrauen müssen dafür im Unternehmen und bei den Mitunternehmern implementiert werden. Am Ende dürften die meisten dort gerne zu ihrer Arbeit gehen. Diese radikale Demokratisierung hat er über die Jahre so weit voran getrieben, bis hin zur Abschaffung der letzten Organisationsspitze, sich selbst.

Wie also wäre es, dieses Prinzip auf unsere Politik anzuwenden und sukzessive umzubauen. Die Wahl an sich lassen wir hier mal außen vor, scheint doch ganz gut zu klappen. Vielleicht könnte man dieses vereinfachen und damit für jedermann verständlich machen. Ich sehe aber grundsätzlich kein Problem in der Wahl unserer Volksvertreter. Bei dem, was wir wählen geht es los mit der Politikentfremdung. Mit wir meine ich wirklich uns alle, alle Deutschen. Wir wählen ein Parteiprogramm, das uns vor der Wahl mit populistischen Tönen und großen Versprechungen, was nicht alles besser wird, wieder und wieder nahe gebracht wird. In der Hoffnung, dass dieses Parteiprogramm uns Wahlorientierung gibt und wir entsprechend wählen gehen. Die Programme als solches sind allerdings sehr abstrakt, die meisten und ich zähle mich dazu, dürften diese nicht en detail kennen. Spätestens nach der Wahl sind wir überhaupt nicht mehr gefragt. Da geht es ums Regieren und Regieren lassen. Unsere Meinung ist nicht mehr gefragt und schon gar nicht unsere Mitbestimmung. Hier sollte der Umbau beginnen. Parteien und ihre Programme werden nicht mehr benötigt und sind überflüssig. Die von uns gewählten Vertreter können sich für die verschiedenen Ämter mit den unterschiedlichen Qualifikationsanforderungen bewerben und müssen durch ein Bewerbungsgespräch, mit uns allen. In regelmäßigen Intervallen wird ihre Leistung überprüft und von uns bewertet. In 4 Jahren kann viel passieren, eher jährlich oder halbjährlich sollten diese Bewertungen stattfinden. Wer eine Mindestpunktzahl nicht erreicht, wird abgewählt. Was das Programm betrifft, so bestimmen wir die Punkte, die entschieden werden müssen und in welcher Reihenfolge, wie hoch die Neuverschuldung sein soll, der Haushalt, wie die Steuern geregelt werden, das Gesundheitssystem, unsere Rente, das Finanz- und Wirtschaftssystem. Wir wissen doch am besten, wo´s uns juckt und die Demokratie egalisiert. Ich alleine bin kein Spezialist in jeder Disziplin und könnte überall kompetent mitbestimmen, aber wir alle haben ausreichend viele Spezialisten. Vergessen sollten wir nicht unsere gewählten Politiker. Dies sind nach wie vor die Experten in ihrem Fach. Das Schöne: sie können sich voll und ganz der Verbesserungen ihrer Aufgabe widmen. Es ist keine „Politik“ mehr notwendig, keine Parteikämpfe. Sie werden auch nicht von Posten zu Posten verschoben, ohne dafür geeignete Kompetenzen, rein durch Parteilobbyismus. Leistung zählt und überzeugt, muss uns überzeugen. Schlussendlich wäre damit auch die Kanzlerfrage ein für alle Mal geklärt und ein einzelner Repräsentant hinfällig.

Das Internet mit seiner dezentralen Organisationsstruktur bietet das ideale Kommunikationsinstrumentarium für diesen – zugegebenermaßen – radikalen, aber sehr demokratischen Umbau. Das dafür nötig Umdenken und der Umbau erfordert allen einiges ab, das ist eine echte Herausforderung, ebenso die notwendige Infrastruktur. Am Ende hätten wir allerdings eine sich selbst verwaltende Gesellschaft und dank Mitbestimmung dürfte die Zufriedenheit wesentlich höher ausfallen. Eine Politik ohne Politiker ist doch eine echte Alternative. Wir sind die Politik, müssen nur machen, mit dem Umbau und Umdenken beginnen und nicht in der Abwarten-und-wird-schon-Haltung verharren.

In diesem meinem Sinne, bis bald in meinem Kopfkino.

4 comments on ‘Die Semcorisierung der Politik – Politik ohne Politiker’

  1. Carsten sagt:

    mit den Worten von Loriot: „Politik bedeutet, und davon sollte man ausgehen; das ist, ohne darum herum zu reden, in Anbetracht der Situation in der wir uns befinden!“

  2. Carsten sagt:

    an meinem Gedanken wird in der Praxis schon fleißig gearbeitet, durch den LiquidDemocracy e.V.: http://www.adhocracy.de/
    Bin gespannt auf die weitere Entwicklung.

  3. Uli sagt:

    Lehrreicher Artikel. Interessant, wenn man sowas auch mal aus einem anderen Blickwinkel ansehen kann.

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