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Marketing mit Autopilot – Reise mit verbundenen Augen?

by Carsten Kreilaus. Average Reading Time: about 10 minutes.

Künstliche Intelligenz im Marketing

Eines der heißen Themen im Marketing ist die Künstliche Intelligenz (KI) und die damit verbundene Marketing Automation. KI ist eine technische Entwicklung, die uns Marketeers das Leben einfacher macht und das digitale Nutzererlebnis besser. Google beispielsweise geht von seiner Parole „Mobile first“ für die Webseiten weg, was ohnehin nur der Anpassung des Geräteverhaltens geschuldet ist. Sicherlich eine Optimierung für das Nutzerverhalten, aber keine Disruption. Die neue Ausrichtung „KI first“ ist eher eine tiefe Innovation. Sie gleicht einem Erdbeben, das das Marketing auf den Kopf stellt und die alte, bekannte Welt unter sich begraben wird.

Dies spiegelt den gesellschaftlichen Trend der zunehmenden Digitalisierung unseres Lebens wieder, wie auch die damit verbundenen Ängste. Die Standard-Arbeiten der Menschen werden automatisiert, durch Maschinen ersetzt. Eine japanische Versicherung hat die gesamte Schadensabteilung durch Computer ersetzt, die die Arbeit fortan übernehmen. Unser Leben findet digital statt. Das gibt uns das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, uns verunsichert, weil wir in eine ungewisse Zukunft steuern. Die Künstliche Intelligenz verstärkt diese Ängste noch. Spätestens seit dem Blockbuster Terminator verbinden wir mit diesem Thema regelrechte Paranoia vor der Weltherrschaft der Roboter und dem Untergang der Menschheit. Elon Musk, Unternehmer und Investor, meint dazu: „Es besteht das Risiko, dass binnen fünf Jahren etwas ernsthaft Gefährliches passiert.“ Für einen genaueren Blick auf das Thema scheint die Zeit reif und daher lasse ich im folgenden meinen Gedanken zu diesem Thema freien Lauf, immer mit dem Fokus auf die Bedeutung des KI für die Zukunft des Marketings.

Status Quo der Künstlichen Intelligenz

„Künstliche Intelligenz wird entweder das Beste oder das Schlimmste werden, was der Menschheit je passiert ist.“ Dieser Ausspruch von Stephen W. Hawking, einem britischen Astrophysiker, zeigt das enorme Potential der KI sowie unsere Ängste. Auf der einen Seite kann die KI unser gesamtes Leben auf den Kopf stellen und unseren technologischen Fortschritt um ein Vielfaches beschleunigen. Herausgenommen sei an dieser Stelle die Medizin, die mittels KI einen Quantensprung erleben wird. KI sorgt für unseren zukünftigen Lebenswohlstand. Auf der anderen Seite wissen wir noch viel zu wenig zu diesem Thema, gerade im Umgang mit der Sicherheit. Es existiert nicht mal eine einheitliche Definition zur Künstlichen Intelligenz. Wikipedia definiert diese so: „Künstliche Intelligenz (KI, auch Artifizielle Intelligenz (AI bzw. A. I.), englisch artificial intelligence (AI), ist ein Teilgebiet der Informatik, welches sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens befasst. Der Begriff ist insofern nicht eindeutig abgrenzbar, als es bereits an einer genauen Definition von „Intelligenz“ mangelt. Dennoch wird er in Forschung und Entwicklung verwendet. Im Allgemeinen bezeichnet künstliche Intelligenz den Versuch, eine menschenähnliche Intelligenz nachzubilden, d. h., einen Computer so zu bauen oder zu programmieren, dass er eigenständig Probleme bearbeiten kann…“.

Ob wir heute wirklich von KI sprechen, sei dahin gestellt. Mir riecht der Status Quo – im Sinne der Wikipedia-Definition – nach Simulation von intelligentem Verhalten. Wenn wir heute von KI-Systemen sprechen, meinen wir eher die intelligente Nachahmung, als die eigenständige Bearbeitung. In diesem Sinne liefert KI heute bereits einen Mehrwert für beispielsweise das Textverständnis, die Bildbearbeitung, das Steuern autonomer Maschinen und die Robotik. Alles, was sich regelbasiert abbilden lässt, kann von der KI besser, schneller und effizienter bearbeitet werden. Tut mir leid, liebe Anwälte, Buchhalter, Controller, Steuerberater und Sachbearbeiter, Bus-, Taxi- und LKW-Fahrer – Eure Berufsbilder sind vom Aussterben bedroht! Durch die exponentielle Beschleunigung der Technik ist eine Anpassung kaum möglich. Wir werden mit dieser Geschwindigkeit nicht mithalten, uns nicht so schnell anpassen können. Das birgt enormen sozialen Sprengstoff. Wenn Millionen Jobs wegfallen und die Menschen nicht mehr in Lohn und Brot stehen, worüber definieren sie sich in Zukunft? Ich frage mich allerdings, ob es sinnvoll ist, sich über den Job zu definieren? Oder, ob wir nicht anfangen sollten, unser Leben in den Vordergrund zu stellen? Auch das Marketing muss sich umsehen. Die Frage für die Branche lautet, ob der Mensch oder die Maschine das Rennen gewinnt, oder wer in Zukunft das Marketing steuern wird? Wer macht den besseren Job in punkto Fachwissen, Strategie, Intuition, Erfahrung und Kreativität?

(Heutige) Grenzen der Künstliche Intelligenz im Marketing

Die Automation wird einen höheren Output mit weniger Manpower ermöglichen. Personaleinsparungen erscheinen aus Unternehmenssicht kostentechnisch traumhaft. Und in der Tat könnte die Argumentation für eine Automation im Marketing in diese Richtung gehen. Erstens ermöglicht die KI kleineren Firmen, auch professionelles Marketing mit einem höheren Grad der Personalisierung zu betreiben. In der Vergangenheit bedeutete dies einen enormen manuellen Aufwand und war mit hohen Personalkosten verbunden. Des weiteren lässt sich das Nutzererlebnis durch KI optimieren. Wenn die Software intelligent ist und die Algorithmen entsprechend den Interessen des Kunden nur relevante und resonante Informationen ausspielen, ist das die halbe Miete zur Konversion.

Allerdings stößt die Automatisierung – noch – an ihre menschlichen Grenzen. Sie ist nur so gut, wie der Entwickler davor und die Daten dahinter. Das verhält sich ähnlich wie mit den Navigationssystemen in unseren Kfz. Auf Nachfrage der Polizei an einen LKW-Fahrer, warum er eine gesperrte Route genommen hat und jetzt zwischen zwei Häuserwänden hängt, kommt die unschuldige Antwort: das Navi hat mich hierhin geführt. Blindes Vertrauen führt manchmal in eine Sackgasse. Die Technik kann unterstützen, sie hilft uns, ersetzt aber nicht das Denken. Mit KI verhält es sich derzeit nicht anders.

Die Empathie und die kreative Idee, die hinter einer Kampagne, hinter der Marke stecken, sind einzigartige menschliche Fähigkeiten. Wenn die Erfahrung und das Gespür für die richtige Idee sowie den Kunden fehlen, arbeiten wir an ihm vorbei. Die Botschaft kommt nicht an. Bei der kreativen und strategischen Leistung helfen uns die Werkzeuge aktuell nicht. Heute sind die Maschinen durch die Algorithmen in der Lage, uns zu assistieren. Zum Teil steuern sie das Marketing halbautomatisiert, mit unserer Kontrolle und kontinuierlichem Training. Das Marketing auf Basis von Standardregeln ist vorhersehbar und öde. Den Rechnern fehlt die Kreativität und menschliche Intuition, das berühmte Bauchgefühl. Noch, muss ich fairerweise ergänzen. Der Fortschritt schreitet schnell voran und bald spielt die KI im Marketing keine Zukunftsmusik mehr. Dann übernimmt diese unsere Denkarbeit, entwickelt sich weiter, hin zur einer selbständigen Persönlichkeit.

Aktuelle und zukünftige Anwendungsfälle im Marketing – und ein bisschen Science-Fiction

Die Marketing-Branche sollte heute mit der Zeit gehen und in die Zukunft investieren. Rechner werden die Kreativität erlernen und mittels ständigem Training zunehmend verstehen, was eine relevante Kommunikation mit dem Kunden bedeutet. Zuhören statt Senden, Authentizität statt Showeffekt, individuelle Ansprache statt Massenkommunikation in klassischen Kanälen: In der Netzwerkökonomie gelten die gleichen Bedingungen für den Kontakt zum Kunden wie im realen Leben. KI muss für eine Beziehung zum Kunden stehen. Dazu gehört nicht die Einbahn-Kommunikation der Werbung von heute, sondern ein echter Dialog auf Augenhöhe, mit Feedback zum Unternehmen und damit Partizipation bei dessen Führung. Ohne Tricks und Hintergedanken. Auch für die KI sollte die zentrale Fragestellung lauten: Wie kann ich dem Kunden helfen?

Die KI hilft im Kundenservice

Schon heute nutzen wir Chatbots, die den Kunden 24/7 zur Verfügung stehen. Vielleicht nicht immer mit der richtigen Antwort liefern diese zunehmend brauchbare Ergebnisse. In Zukunft werden die Chatbots in der Lage sein, ein individuelles Kundengespräch zu führen, bis der Kunde irgendwann den Unterschied zur menschlichen Kommunikation nicht mehr unterscheiden kann. Schluss mit nervtötenden Warteschleifen aufgrund von personellen Engpässen im Call-Center!

Produktempfehlungen

Bereits heute empfiehlt die KI, beispielsweise bei amazon, dem Kunden Produkte. Über ein Drittel der Umsätze sollen damit generiert werden. Meist basierend auf unserem Nutzerverhalten – und der entsprechend intelligenten Auswertung der hinterlassenen Daten – werden uns bei den verschiedensten Anbietern und Social Media Plattformen personalisierte Suchergebnisse ausgegeben. Immer mit dem Ziel der größtmöglichen Relevanz für eine Konversion. Bei amazon sollen die Bot-generierten Empfehlungen in Zukunft so weit gehen, dass wir ein Produkt zugestellt bekommen, noch bevor wir wissen, das wir es kaufen. Predictive Shopping ist die Vision.

Kreation von Inhalten

Inhalte werden automatisch mit dem für die jeweilige Zielgruppe passenden Wording und Bildwelten erstellt. Im „Hinterkopf“ wendet die Software die dafür beste Markenstrategie und ein ansprechendes Markendesign an. Angezeigt und zu Gesicht bekommt der Nutzer nur, was ihn interessiert. Schluss mit redundanten Informationen. Auch Sprachbarrieren werden durch die KI aufgehoben. Mittels KI-basierten Übersetzungen können wir in Echtzeit mit jedem auf der Welt kommunizieren.

Natürliche Sprache

Mit unserem Gegenüber unterhalten wir uns zunehmend über eine Smartphone-, Tablet-, Laptop- oder Desktop-Tastatur. Unserer Natur entspricht das keineswegs. Wir unterhalten uns mittels Sprache, gepaart mit Gesten und Mimik. Genau das macht uns Menschen aus. In Zukunft unterhalten wir uns mit einem digitalen Assistenten, der uns beim Shopping, bei der Informationssuche hilft. Die Marketing-Abteilung wird mittels Spracherkennung die Kundendaten in Echtzeit segmentieren können und damit in die Lage versetzt werden, schnell Kampagnen zu erstellen. In der weiteren Zukunft ist die Sprachaufforderung nicht mehr notwendig, die KI übernimmt automatisch die Segmentierungen und plant die damit verbundenen Aktionen eigenständig.

Anzeigenplatzierungen

Programmatic Advertising ist bereits gang und gäbe. Dieser nutzerbasierte, vollautomatische Ein- und Verkauf von Werbeflächen soll es ermöglichen, dass die Nutzer nur Werbung ausgespielt bekommen, die für sie interessant ist. Zukünftig sollten die entsprechenden Algorithmen ein Gespür entwickeln, wann die Werbebotschaft anfängt zu nerven, also über eine emotionale Intelligenz verfügen. Sinnvoll ist es, die Stimmungen der Nutzer zu verstehen und diese auch mal in Ruhe zu lassen. Mittels Gesichtserkennung ist die individuelle Ansprache sinnvoll und möglich. Die Ansprache muss zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort geschehen.

Autonome, von einer Künstlichen Intelligenz geführte Unternehmen

Im Grunde braucht es den Menschen in einer Firma nicht. Wenn die komplette Organisation auf eine Künstliche Intelligenz umgestellt ist, kann ein Unternehmen autonom funktionieren. Das wäre eine spannende Fiktion, wenn nicht nur das Marketing vollautomatisch arbeitet, sondern auch andere Abteilungen sich selbst- und eigenständig organisieren, mit anderen vernetzen und die jeweiligen Abhängigkeiten steuern, ohne das Dazutun von Menschen. Verträge werden über Blockchain abgewickelt, Gespräche über Bots geführt, Abstimmungen und Meetings entfallen, weil alle Informationen zu jedem Zeitpunkt jeder Einheit des digitalen Organismus gleichermaßen zur Verfügung stehen. Das Unternehmen kontrolliert sich selbst und schaltet bei Stromausfällen eigenständig auf eine Backup-Lösung um. Die Unternehmensziele gibt der Initiator vor und werden dann durch die KI weiterentwickelt. Urlaub und Krankmeldungen gibt es nicht, ein Rund-um-die-Uhr-Service für die Kunden ist gesichert. Personalkosten entfallen und auch die Produktion arbeitet vollautomatisch. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ein sehr effizient und effektiv arbeitendes Unternehmen. Das ergibt sehr skalierbare Unternehmensmodelle.

Auf den Punkt gebracht

KI im Marketing ist kein Buzzword. Sie übernimmt immer mehr Marketing-Routineaufgaben, die Zeit rauben und langweilig sind. So bleibt uns mehr Zeit für die Kreativität, um die Kunden zu erreichen, bis die KI diese Domäne ebenfalls für sich beansprucht.

Fakt ist, KI verändert das Marketing. In Zukunft wird die KI kreativ. Auch wenn die KI noch nicht soweit ist, so können wir die zukünftige, automatisierte Intelligenz schon in der heutigen Kommunikation nutzen. Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln ist eine intelligente Kommunikation bereits möglich. Wir müssen nur nachdenken, clever handeln und immer an den Kunden denken. Was ist für diesen relevant, was wirkt resonant? Auch die KI sollte immer dem Menschen nützen, den Kunden einen Mehrwert liefern und nicht einfach die Werbung von Google, Facebook & Co. zielgerichteter ausliefern. Solange bleibt es bei: Alles ist Marketing.

Die KI muss – wie heute der Mensch auch – die Frage nach einem ethisch, fairen Wirtschaften für sich beantworten. Wenn die KI unser bestehendes Wirtschaftssystem mitverändert, dann ist dies das Ende des Marketings, wie wir es kennen.

Mit den Maschinen konkurrieren zu wollen, ist für die Menschheit ein aussichtsloser Weg. Daher ist es wichtig, unseren Kindern in der Bildung unabhängiges Denken, Werte, Mitgefühl und eine Überzeugung mit auf den Weg zu geben. Das unterscheidet uns langfristig von den Maschinen.

One comment on ‘Marketing mit Autopilot – Reise mit verbundenen Augen?’

  1. Der Artikel stellt eine bestimmte Entwicklung als notwendig, als objektiv zu erwartende Tatsache hin. Diese Objektivierung ist auch einem betriebswirtschaftlichen Fokus geschuldet, in dem jeder nur tut, was der Markt von ihm verlangt. Die Perspektive ist dann, dass jede menschliche Tätigkeit schlussendlich besser von einer intelligenten Maschine erledigt werden kann. Dabei muss man ja nicht bei gewerblichen Tätigkeiten stehen bleiben. Auch ich als Vater, Ehemann, Nachbar etc. bin in all diesen Funktionen bestimmt einst durch eine mich übertreffende Maschine ersetzbar. Die dargestellte Perspektive meint also zuendegedacht schlicht das Ende des Menschen.
    Die Frage ist eher, wie eine derart groteske Vision so fraglos akzeptiert werden kann. Jede Erfindung, jede Neuerung am Markt ist menschengemacht und damit interessengeleitet. Dies bedeutet in einer hierarchischen Gesellschaft: Sie geschieht im Interesse Weniger. Sie geschieht auch in der Abscheidung des Konsumenten vom Produzenten.Wären die Arbeitskräfte auch die Firmenbesitzer, würden sie keine Rationalisierung betreiben, die sie selbst ersetzt. Die technische Entwicklung würde eine ganz andere Richtung nehmen. Ich hoffe inständig, dass wir unsere sozialen Verhältnisse so umwälzen, dass Rationalisierung als die Eliminierung des Menschen aus seiner Arbeit auf dem Müllhaufen der Geschichte landet!

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