iA


Neustart dank Coronavirus – Wir haben das Momentum genutzt

by Carsten Kreilaus. Average Reading Time: about 6 minutes.

Coronavirus - der Neustart
Was war das für ein Schrecken. Ich weiß es noch wie gestern. Die ersten Meldungen Ende 2019 über das Coronavirus, weit weg in China. Okay, eine neue Art von Virus. Unbekannt für mich. Aber eben weit weg, nicht richtig greifbar. Halb so wild, dachte ich naiv. Dann der Einschlag bei einer bekannten deutschen Firma, die einen Sitz in gar nicht mehr allzu weiter Ferne hat. Unschön, aber immer noch nicht nahbar. Immer noch unwirklich. Dann ging es los. Erst der Shutdown in Italien, dann Spanien, es folgten Frankreich und immer mehr Länder. Die Grenzen wurden geschlossen. Das öffentliche Leben stilgelegt. Parallel dazu Meldungen über leere Klopapierregale, Coronapartys. Ignoranz pur und wenig Verständnis für die Gemeinschaft. Verantwortungslosigkeit überall. Ich hätte wirklich verzweifeln können. Die beste Zusammenfassung für die Rücksichtslosigkeit bietet Albert Einsteins Zitat: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ Aus heutiger Sicht kann ich darüber lachen. Es ist alles gut gegangen und wir haben endlich gelernt. Wir haben das Momentum vom Coronavirus genutzt.

Wie gesagt, am Anfang haben die Menschen, aus welchen Gründen auch immer, den Ernst der Lage ignoriert. Aber, mit den Ausgangssperren, den immer mehr Infizierten im direkten Umfeld wurde auch dem Letzten klar, das dies keine Übung ist und uns alle betrifft. Das ein Zusammenhalt zur Bekämpfung erforderlich ist, um die Verbreitung so langsam wie möglich ablaufen zu lassen, zu unterbrechen für eine ausreichende Behandlung aller. Zwischen den täglichen Horrornachrichten war ein Funken Solidarität zu spüren. Die Menschen fingen an sich zusammenzuraufen, sich zu unterstützen und in Rücksicht zu üben. Höflichkeit ist wieder gesellschaftsfähig. In der Politik wurden von heute auf morgen „harte“ Entschlüsse gefasst, die nicht erst zerredet, in die Länge gezogen wurden aus eigenen Interessen. Das Interesse der Gesellschaft stand plötzlich in der Entscheidungsmitte, das was die Politik eigentlich immer leisten sollte: Als Stellvertreter für uns zu handeln und sich nicht in einer Industrie für die Karriere nach der Politik zu empfehlen. Ein Gefühl von „geht doch, wenn wir nur wollen“ machte sich bereit.

Die Ausgangssperren waren notwendig, aber zermürbend. Die Psyche spielt irgendwann verrückt. Der Lagerkoller übernimmt. Denn der Mensch ist ein freiheitsliebendes Wesen. Auch der Letzte hat dadurch endlich kapiert, wie es den Flüchtlingen ergeht, die neben ihrer Unfreiheit darüberhinaus meist noch alles verloren haben. Wir hatten zwar nichts verloren, aber gefühlte Ängste nicht mehr alles haben zu können. Niemand konnte diese Gruppe mehr an den Pranger stellen und als Schuldige für alles, was einem selbst nicht passt, was man herbeisehnt, bezichtigen. Endlich, diese Mecker- und Prangerkultur starb nach und nach aus. Zwar gab es Versuche dies aufleben zu lassen und Hass zu schüren, aber die Menschen hatten kapiert und verstanden. Vereinzelte Stimmen verstummten. Der aufstrebende Nationalismus mit Rechtsruck ist dem Virus zum Opfer gefallen. Eine Weit- und Weltsicht des Miteinander hat die Oberhand gewonnen und die folgenden Wahlen waren prägend für eine offene, freie und Gemeinwohl orientierte Gesellschaft. Nicht immer sofort, aber die Alleinherrscher der Zeit mit ihrem Populismus hatten endgültig ausgedient.

Der Stilstand des öffentlich Lebens hat Dinge ermöglicht, die vorher zwar in der Theorie existierten, allerdings nicht gelebt wurden und oft noch in einem negativen Licht standen. Homeoffice, Homeschooling sind zwei Gewinner der damaligen Krise, doch durchaus produktiv und praktikabel. Eingesehen wurde, dass man bis dato Anwesenheitszeit mit Arbeitszeit verwechselt hat und am Ende die Arbeitsleistung zählt. Nicht, das Wo und Wann dieses geleistet wurde. Nicht, dass diese für sich genommen der Heilsbringer für irgendetwas waren. Aber, deren Tabuisierung ist gefallen. Es wurde darüber nachgedacht Dinge anders, zum Besseren zu gestalten. Ist es wirklich notwendig jeden Tag in ein Büro zu gehen, den Weg dahin mit dem Auto oder dem Öffentlichen Nahverkehr im besten Falle zu bestreiten. Nicht zuletzt haben sich viele Familien wieder auf sich besonnen. Es gibt sie wieder, die Nachbarn, Freunde, alte Kontakte, ein Umfeld, mit denen es sich lohnt zu kommunizieren. Es wurde erkannt, dass es mehr als den Alltag und die tägliche Arbeitsroutine gibt. Gemeinsam einen Abend ohne Fernseher gestalten. Gemeinsam sich Zeit für die Belange der anderen nehmen. Auch die Einstellung zur Arbeit hat sich geändert. Wir mussten feststellen das unser ach so wichtig geglaubter Job und unsere noch wichtigere Position gar nicht wichtig sind für eine lebenswerte Gesellschaft. Endlich haben die Berufe eine Wertschätzung und Aufwertung erfahren, die tagtäglich für uns da sind. Wir arbeiten auch heute noch, aber mit einem gesunden Abstand, mit Verstand und vor allem Miteinander. Viele haben sich nach Corona beruflich neu orientiert, weil sie keinen Sinn in ihrem bisherigen Job-Dasein gesehen haben. Die Schranken sind gefallen und die Digitalisierung hat mit Corona an entscheidender Fahrt gewonnen. Allein durch unsere Einstellungsänderung. Das Beste aus der analogen und digitalen Welt wurden miteinander verschmolzen und damit neue, zeitgemäße Systeme ins Leben gerufen. Der goldene Mittelweg wurde beschritten. Das preußische Lernsystem und der industrielle Arbeitsrythmus waren damit Geschichte. Wie gesagt, Pragmatismus herrschte und Bewegung kam in viele Lebensbereiche. Bereiche, wo wir seit langem wußten das etwas geändert werden muss. Es passierte nur nicht viel. Es war kein Mut da, kein Wille Dinge zu ändern. Corona hat uns diesen Mut beschert anzupacken, zu tun. Zu handeln für eine Gesellschaft, für eine Welt in der jeder mit Freude lebt. Und mit dem Tun kam der Erfolg.

Diese Haltung hat uns nachhaltig geprägt. Diese Sichtweise das Unsichtbare trotzdem ernst zu nehmen, konnte nach Corona niemand mehr ignorieren. Die eigenen Ansprüche, die man geglaubt hat zu haben, wurden hinterfragt. Verzicht wurde als etwas positives entdeckt, nicht als Verlust empfunden. Die Klimakrise wurde damit ernst genommen und auch aktiv angegangen. Es sind Themen angepackt worden, die unmöglich schienen. Plötzlich gab es ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Die Kosten der Umwelt wurden eingepreist und für die Wirtschaft wurde es richtig teuer nicht nachhaltig zu agieren. Der Massenkonsum immer alles und zu jeder Zeit zu bekommen, wurde als überflüssiger Luxus angesehen. Die Scheindiskussion um den richtigen Abstand zu Windrädern ist im Keim erstickt und die erneuerbaren Energieträger rückten wieder in den Fokus. Auch in der Wirtschaft ging es nicht mehr um das bis dahin vorherrschende Credo „höher, schneller, weiter“. Ein klimaneutrales Deutschland zeitnah umzusetzen wurde zum Narrativ und nicht mehr halbherzig, sondern mit einem mutigen Aktionsplan umgesetzt. Dieser Wind erfasste alle Bereiche. Wirtschaft, Gesellschaft, jeder einzelne von uns stellte sich immer wieder die gleiche Frage: Was ist wirklich wichtig und wie wollen wir in Zukunft leben? Deutschland wurde so zum weltweiten Vorbild vieler Länder und zum globalen Maßstab.

Ende gut, alles gut. Wir sind durch eine für viele beängstigende Zeit gegangen, haben daraus unsere Verantwortungsübernahme für das Morgen gewonnen und ziehen als Gesellschaft endlich an einem Strang. Die Klopapierregeale sind wieder aufgefüllt. Wie das Händewaschen geht, haben wir gelernt. Danke Corona, dass du uns viele Möglichkeitsräume geschaffen hast. Schade, dass es dafür ein Corona geben musste. Nichts ist mehr so wie es war und das ist auch gut so. Die Zukunft liegt in unserer Hand und ich freue mich jeden Tag auf den Neustart für ein für uns alle lebenswertes Leben.

No comments on ‘Neustart dank Coronavirus – Wir haben das Momentum genutzt’

Leave a Reply